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Divers

Veränderung in Beruf, Alltag und Sprache

AdobeStock 157744072 768x534© stock.adobe.com / sucharnMit der rechtsgültigen Änderung des §22 Abs. 3 Personenstandsgesetz (PStG) am 22.12.2018 steht für Menschen mit Varianten der Geschlechtsentwicklung, also Inter*, ein neuer Geschlechtseintrag zur Verfügung. Sie können ab diesem Tag ihr Geschlecht im Geburtenregister als „divers“ eintragen lassen. Bis dahin gab es nur die tradierten Möglichkeiten „männlich“ und „weiblich“, sowie „ohne Angabe“. Dem vorausgegangen war ein Urteil des Bundesverfassungsgerichtes, welches in der ausschließlich binären Geschlechtszuweisung eine Diskriminierung sah. Der Gesetzgeber erkennt nun also an, was wissenschaftlich und in der Lebensrealität von Menschen längst Realität ist: dass es mehr als nur zwei Geschlechter gibt.

Problembetrachtung und Entwicklung bis heute

Mit dem Umstand konfrontiert zu sein, in mehr als zwei Geschlechtern zu denken, überforderte früher genauso wie heute noch immer viele Menschen. Die über Jahrhunderte gewachsene Art des Zusammenlebens ist oftmals mit patriarchalen, religiösen, antihomosexuellen und anderen Traditionen und Bräuchen verknüpft, die wiederum bestimmte Gruppen schlechterstellen. Zu lange schon beherrschten im christlich geprägten Europa Vorstellungen von der ausschließlichen Existenz zweier Geschlechter das gesellschaftliche Bild, manifestiert beispielsweise in der heteronormativen Ehe (nur zwischen Mann und Frau), traditionellen Rollenbildern und entsprechenden Aufgabenverteilungen und Entscheidungskompetenzen. Die Vorstellung der ausschließlichen Existenz lediglich zweier Geschlechter stellt als Grundproblem die Ursache für unterschiedliche Aspekte von Diskriminierung dar. Betroffen seien können ganz unterschiedliche Gruppen, was eine Mehrfachdiskriminierung nicht ausschließt; wie sie beispielsweise homosexuellen Frauen oder auch Trans* Personen vielfach wiederfährt. Dabei gab es immer auch Menschen, die sich zwischen den beiden angenommenen Geschlechtern befanden. In anderen Kulturen waren sie durchaus bereits historisch anerkannt und gleichberechtigter Teil der jeweiligen Gesellschaft – beispielsweise die „Two Spirit People“ in den indigenen Kulturen Nordamerikas oder „Hijras“ in Südasien – oftmals, bis die „moderne Zivilisation“ in Form von Missionierung während der Kolonialisierungsbestrebungen über sie hereinbrach – zahlreiche Diskriminierungsformen im Gepäck.

Erst in den letzten Jahrzehnten konnte im Zuge verschiedenster Emanzipationswellen eine gewisse Sensibilisierung für die Problematik geschaffen werden, die nun u. a. in vorliegender Gesetzesänderung mündete.

Wie geht nun aber die Gesellschaft damit um – in Sprache, im Alltag und in der Berufswelt?

In der arbeitsrechtlichen Praxis schlägt sich diese Entscheidung ganz selbstverständlich nieder. Schon in Stellenausschreibungen ist explizit darauf zu achten, dass Menschen mit dem Geschlechtseintrag „divers“ nicht vom Stellenbesetzungsverfahren ausgeschlossen oder darin anderweitig diskriminiert werden. Im Onlinebewerbungsverfahren muss sichergestellt sein, dass diese Auswahlmöglichkeit ebenfalls besteht. Bereits seit Gültigkeit des neuen Passus im Gesetz sind Stellenausschreibungen, die in Tageszeitungen und im Netz zu finden sind, vielfach mit dem Hinweis m/w/d versehen. Offenbar gibt es hier wenig Widerstand, zumindest in der Formalie „divers“ zu berücksichtigen – man würde als Arbeitgeberin ansonsten auch gegen geltendes Recht verstoßen. Wie aber die Quoten in der Stellenbesetzung mit Menschen mit dem Geschlechtseintrag „divers“ an sich aussehen, ist schwer nachvollziehbar. Zum einen sind Statistiken dazu noch nicht bekannt, zum anderen stellt nicht nur das Geschlecht das ausschlaggebende Kriterium für eine Stellenbesetzung dar. Natürlich kann es nach wie vor zu Diskriminierungen kommen. Einen Anhaltspunkt für diese Vermutung geben zumindest die Erkenntnisse zu Trans im Vorfeld der Neuregelung.

Komplizierter wird es aber bereits, wenn über die diskriminierungsausschließende Anpassung sanitärer Einrichtungen nachgedacht wird. Spätestens hier ist, meiner persönlichen Diskussionserfahrung nach, die Akzeptanz nicht sehr stark ausgeprägt. Nicht nur, dass es kaum eine ernsthafte Auseinandersetzunge mit dem Thema gibt, schließlich scheint der Problemanriss jeder Zeit für schlechte Witze gut zu sein. Erschreckender Weise werden diese selbst von Führungskräften vorgebracht, die sich einer gewissen Sachlichkeit und Neutralität – wenn sie schon fragwürdige Ansichten vertreten – verpflichtet sehen sollten. So verharrt die „Gendertoilette“ weiterhin in der Witzeecke und wird spätestens mit einer starken emanzipierten Person mit diversem Geschlechtseintrag für großen Aktionismus sorgen.

Im Alltag begegnet einem die Thematik „divers“ am ehesten über die Sprache, wobei es sehr darauf ankommt, in welchen gesellschaftlichen Gruppen agiert wird. So ist es wahrscheinlicher, mit genderneutraler Sprache in Kontakt zu kommen, wenn man mit feministischen, genderpolitisch aktiven – überhaupt sprach- und problemsensiblen Menschen kommuniziert. Dass Menschen in diesen Gruppierungen genderneutrale Kommunikation bevorzugen ist aber nicht erst mit der Änderung des Personenstandsgesetzes eingetreten. Vielmehr ist es feministisch orientierten Emanzipationsbewegungen gelungen, letztlich auch diese politische Entscheidung herbeizuführen – eben auch durch die konsequente Nutzung und Etablierung entsprechender Sprachanteile.

Allerdings sind nicht alle Bereiche der Gesellschaft derart differenziert im Umgang mit Sprache. Viele Menschen betrifft es einfach nicht, folglich stellt sich nicht automatisch ein Problembewusstsein ein. Schwer zu etablieren ist die Nutzung gendersensibler Sprache in Berufen, wo Frauen traditionell nach wie vor unterrepräsentiert sind. Selbst viele Frauen müssen erst für die Thematik sensibilisiert werden und oft auch einen Emanzipationsprozess durchlaufen.

In Verwaltungs- und Justizsprache lässt sich gendersensible Sprache auf Grund vieler Fachbegriffe schwerer verwenden. Unmöglich ist es aber nicht und kommt letztlich auf einen (ersten) Versuch, konsequente Weiterverwendung und notfalls gute Argumente an. Steter Tropfen höhlt den Stein, denn was nicht benannt wird, existiert nicht.

Strategien für mehr Akzeptanz

Politisch aktive Feministinnen und Gender-Queer-Aktivistinnen sollten sich zunächst klar darüber werden, dass der Diskriminierungsansatz ein ganzheitlicher und oftmals intersektional angelegt ist. Es könnte also zielführender sein, gemeinsam gegen die Diskriminierung vorzugehen, also auch für die andere diskriminierte Gruppe mitzukämpfen und diese immer auch mit zu benennen als in Einzelkämpfer*in zu Scheitern. Insbesondere kleine Gruppen könnten davon profitieren.

Sensibilisiert Menschen in eurer Umgebung, im Alltag und im Beruf. Sucht Verbündete nicht nur unter Feministinnen und Queer-Aktivistinnen, auch unter Betriebs- und Personalräten, Gleichstellungbeauftragten* und Schwerbehindertenvertretungen! Verbündet euch!

Der wohl effektivste Ansatz ist meines Erachtens die konsequente Nutzung geschlechtsneutraler Sprache. Gerade wenn ihr selbst Texte produziert – Social-Media-Beiträge, Berichte, E-Mails, whatever – nutzt die Gendersternchen! Traut euch!

Bleibt die Problematik der Toiletten. Dem Gefühl nach handelt es sich hier um eine schwer zu knackende Nuss – anscheinend ist dies die letzte Bastion der männlichen Stehpinkelkultur am Gemeinschaftsbecken. Als Argument wird diese Szenerie immer wieder vorgebracht gegen die Öffnung der Toilettenräume für alle Menschen, unabhängig vom Geschlecht. Aber braucht es wirklich separate dritte Toilettenräume für Menschen mit dem Geschlechtseintrag „divers“? Eine gute Lösung wäre der Einbau von für jede Person abschließbare Kabinen, gern auch mit Steh- und Sitzkeramik.

Mit der Toilette wird erlebbar, dass Geschlecht keine Rolle spielen muss. Dass wir alle Menschen sind. Dass wir nicht diskriminieren müssen. Lasst uns die Toiletten erobern! Wie es im Übrigen für Zugtoiletten nicht mal eine Diskussion wert scheint.

Erstes Fazit

Auch wenn die vorliegende Umsetzung des Diskriminierungsverbotes im Personenstandsgesetzes nicht frei von berechtigter Kritik geblieben ist – die nunmehr geschaffene dritte Geschlechtseintragung „divers“ ist eine rechtlich verbriefte Benennung und Sichtbarmachung einer menschlichen Lebensrealität.

Autor*in
Grit Merker