Rede von Grit Merker, beim Gedenken an die Opfer des ehemaligen Frauen-und Männer-KZ Magdeburg am 14. Juni 2021
Sehr geehrte Anwesende,
mein Name ist Grit Merker, und ich bin gebeten worden, für den LSVD Sachsen-Anhalt am heutigen Tag des Gedenkens zu sprechen. Ich selbst nehme die Vertretung des LSVD im Beirat 33–45 der Stiftung Gedenkstätten LSA wahr und freue mich sehr, heute zu Ihnen sprechen zu dürfen. Denn ich möchte die Gelegenheit nutzen, Sie einzuladen, unseren Fokus auf eine Gruppe von Frauen innerhalb der Frauenlager zu richten, der höchst selten ein Platz im Gedenkkanon zugedacht wird.
Die Gruppe, die ich meine, ist die der lesbischen Frauen. Im KZ Magdeburg-Polte waren ca. 3.000 Insassinnen interniert, die für den damals europaweit größten Munitionshersteller Zwangsarbeit leisten mussten. Wir wissen nicht, ob unter ihnen lesbische Frauen waren, aber wir können es mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit annehmen.
Warum wissen wir so wenig?
Um dies zu verstehen, müssen wir uns zunächst die Geschichte der Homosexuellenverfolgung in Deutschland vergegenwärtigen. Die Verfolgung lesbischer Frauen ist eng an den 1871 eingeführten § 175 RStGB gebunden, auch wenn er für Frauen nie eine Strafe vorsah.
Im Zuge der Strafverschärfung 1935 blieben Frauen trotz heftiger Debatte weiterhin straffrei mit den folgenden Begründungen:
- Frauen seien für den Männerstaat politisch bedeutungslos.
- Frauen können zur Erfüllung des Fortpflanzungsauftrags gezwungen werden (Anm.: durch Vergewaltigung).
- Sexuelle Handlungen unter Frauen seien schwerer nachweisbar.
Homosexualität bei Frauen wurde als unwichtig erachtet, wie überhaupt eine autonome, selbstbestimmte Sexualität bei Frauen gänzlich negiert wurde. Es war ihre Unabhängigkeit (von einem Mann), das „sich nicht in die Volksgemeinschaft einbringen und dem Reproduktionsauftrag unterwerfen“, was lesbische Frauen zu „Asozialen“ werden ließ.
Trotz nicht vorliegender Strafbarkeit wurden lesbische Frauen meist unter Vorwänden inhaftiert. Deshalb ist die wissenschaftliche Aufarbeitung der Verfolgung eben dieser Opfergruppe schwierig. Während die Verhaftung schwuler Männer anhand vorhandener Polizei- und KZ-Akten nachvollzogen werden kann, ist die Rekonstruktion der Lesbenverfolgung nahezu ausschließlich über Berichte überlebender Frauen möglich.
Das Erlebte – die Erniedrigungen – Lesben wurden häufig zur Prostitution in KZ-Bordellen eingesetzt, Homophobie in der Lagerkultur und der Fortbestand einer homofeindlichen Gesellschaft – führten dazu, dass KZ-überlebende lesbische Frauen sich in die Unsichtbarkeit zurückzogen.
Ilse Kokula, die zur Lesbenverfolgung forschte und 1986 ihre Gespräche mit älteren lesbischen Frauen veröffentlichte, berichtete: „Allein das Aufspüren von Zeitzeuginnen erwies sich als Suche nach der Stecknadel im Heuhaufen, weil ältere und alte Frauen nicht gerade in die Gruppen der Lesbenbewegung strömten. Hinzu kommt, dass potenzielle Informantinnen zwar bereit sind, über den Faschismus zu sprechen, aber nicht über ihr Lesbischsein. Meine Erfahrungen zeigen, dass lesbische Frauen, die die NS-Zeit und die Nachkriegszeit erlebt haben, extrem vorsichtig geworden sind.“
Warum ist es wichtig, zu wissen und zu erinnern?
Am Ende des Naziregimes waren lesbische Frauen aus der öffentlichen Wahrnehmung und dem gesellschaftlichen Bewusstsein verschwunden. Die deutschen Nachfolgestaaten hatten sich keineswegs des homophoben Geistes der NS-Zeit entledigt, demzufolge spielte die Verfolgung Homosexueller in der Geschichtsschreibung und Erinnerung der Mehrheitsgesellschaft nahezu keine Rolle.
Das ist im Grunde bis heute so. Mit der Emanzipationsbewegung in den 70er-Jahren entstanden neue Identitätsbildungsprozesse, die sich auf eine Besetzung politischer Öffentlichkeiten mit lesbischen Themen fokussierten. Neben geschichtlicher Aufarbeitung und Kontaktaufnahme zu Zeitzeug*innen waren aktive Gedenken ein wichtiges politisches Mittel der Homosexuellenbewegung.
Spätestens in den 80er-Jahren setzten aktive Gedenken an verfolgte lesbische Frauen des NS-Regimes u. a. in Ravensbrück ein. Dies war auch ein Aufbegehren gegen den als einseitig erzählt empfundenen NS-Opfermythos in der DDR.
Der letzte Vorstoß für die Schaffung eines spezifischen Mahnmals zum Gedenken an lesbische NS-Verfolgte im KZ Ravensbrück liegt bereits fünf Jahre zurück. Obwohl von einem breiten Bündnis queerer Organisationen getragen, lässt die Umsetzung noch immer auf sich warten. Die Stiftung Gedenkstätten Berlin-Brandenburg verhinderte die Umsetzung bisher, maßgeblich aufgrund der Negierung der Verfolgung von Lesben im Nationalsozialismus durch den Beiratsmitwirkenden und homosexuellen Historiker Alexander Zinn.
Dieser hatte bereits Jahre zuvor die Forderung nach einer lesbischen Komponente des Berliner Homomahnmals als „Geschichtsklitterung“ bezeichnet. An der Stelle wird deutlich, wie Teile der Opfergruppe der Homosexuellen um die Einstufung der eigenen Wichtigkeit, Anerkennung und Deutungshoheit über den eigenen Opferkomplex konkurrieren, in dem die Verfolgung queerer Frauen oft abgestritten wird.
Was können wir tun?
Queere Perspektiven sind immer noch wenig im Bewusstsein von Geschichtsschreibenden ausgeprägt. Einige Historiker*innen wissen nicht einmal, dass das Thema existiert. Diese Unsichtbarkeit liegt auch an einer lang anhaltenden Homophobie (sowie Sexismus), die die Geschichtsschreibung nach wie vor beeinflusst. Forschende auf diesem Gebiet erfahren oftmals innerhalb ihres Wissenschaftsbereichs wenig bis keine Anerkennung.
Dabei ist es jenen Menschen wie Claudia Schoppmann, Insa Eschebach, Anna Hájková, Jens Dobler oder Maria Bühner zu verdanken, dass wir überhaupt etwas über die Verfolgung lesbischer Frauen wissen.
Wir dürfen nicht vergessen, dass die Geschichte der Verfolgung lesbischer Frauen Teil unser aller Geschichte ist. Der LSVD Sachsen-Anhalt arbeitet aktiv im Beirat 33–45 der Stiftung Gedenkstätten Sachsen-Anhalt mit. Aber auch hier wird deutlich, dass ohne vorliegende Forschungsergebnisse zu explizit lesbischer Verfolgung auf dem Territorium des heutigen Landes keine offizielle Gedenkarbeit stattfinden kann und wird. Das Thema spielt bislang keine Rolle.
Seit 2009 beteiligt sich der LSVD Sachsen-Anhalt an der Gedenkaktion Stolpersteine in Magdeburg. Bisher konnten 14 Stolpersteine verlegt werden, allerdings kein einziger für eine lesbische Frau. Wir brauchen dringend Forschung und werden weiterhin versuchen, wissenschaftliches Personal dafür zu gewinnen und Finanzmittel dafür einzuwerben.
Vielleicht ist es bereits zu spät, noch Zeitzeug*innen aufzutun. Aber wer weiß, vielleicht erinnern wir auch hier in Magdeburg irgendwann an lesbische Verfolgte des NS-Regimes.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!